Das Magazin von Menschen für Menschen.
Newsletter

Erhalte Benachrichtigungen zu neuen und spannenden Beiträgen.

Wolodymyr Selenskyj und der schleichende Zerfall der ukrainischen Demokratie

Wolodymyr Selenskyj galt für viele als leuchtendes Symbol einer wehrhaften Demokratie. Ein mutiger Präsident im T-Shirt, der Europa daran erinnerte, was Freiheit koste – und wie man sie verteidigt. Die Welt feierte ihn. Doch der Glanz ist matt geworden. Die Euphorie wich einer skeptischen Nüchternheit – auch und gerade in jenen westlichen Hauptstädten, die Selenskyj lange kritiklos umarmt hatten.

Werbung
Kugelsicher Marketing

Inzwischen mehren sich die Stimmen.

Und sie kommen nicht aus Moskau, sondern aus London, Brüssel und Washington. Und sie zeichnen ein Bild, das mit dem westlichen Idealbild nicht mehr viel zu tun hat. Die britische Financial Times konstatiert eine gefährliche Entwicklung: Selenskyj sei – entgegen seinem Ruf – kein liberaler Demokrat, sondern entwickle sich zunehmend zum autoritär agierenden Staatschef. Im Schutz des Kriegsrechts habe sich in Kiew eine Struktur etabliert, die politische Gegner marginalisiere, kritische Stimmen zum Verstummen bringe und rechtsstaatliche Institutionen systematisch schwäche. Die Grenze zwischen der Verteidigung eines Staates und dem Umbau desselben wird offenbar nicht mehr sauber gezogen. Ein Eindruck, der durch den Economist verstärkt wird:

Die ukrainische Regierung sei in „Intrigen, Säuberungen und interne Machtkämpfe“ verstrickt.

deren destruktives Potenzial das eigene Staatsgefüge bedrohe. Es gehe längst nicht mehr nur um Moskau – sondern um Kiew selbst. Der US-Thinktank Freedom House spricht von einer „signifikanten Verschlechterung politischer und bürgerlicher Rechte“.

Auch ukrainische Medien wie Ukrainska Pravda verlieren zunehmend ihre Zurückhaltung.

Und diagnostizieren einen Präsidenten, der sich mit „selbstbewussten Schritten in Richtung korruptem Autoritarismus“ bewegt. Am deutlichsten wird der britische Spectator. In einem Beitrag, der in dieser Form noch vor wenigen Monaten wohl als russische Propaganda abgekanzelt worden wäre, heißt es: Die Ukrainer hätten das Vertrauen in ihren Präsidenten verloren. Selbst ehemalige Unterstützer sprächen inzwischen davon, dass Selenskyj „den Krieg verlängere, um an der Macht zu bleiben“. Oppositionspolitiker vergleichen seine Herrschaft offen mit Putins – mit dem Unterschied, dass dieser seine Amtszeit nicht mit westlicher Finanzhilfe verlängere.

Der Fall des prominenten Anti-Korruptions-Aktivisten Vitaliy Shabunin verdeutlicht die Richtung, in die sich das System Selenskyj bewegt. Der Mann, der sich jahrelang für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit einsetzte, wurde kürzlich unter fadenscheinigen Vorwürfen verhaftet – just, nachdem er ein geplantes Gesetz kritisiert hatte, das regierungsnahe Unternehmen faktisch von Strafverfolgung ausnimmt. Shabunin nennt Selenskyj einen Präsidenten, der „den Krieg ausnutzt, um sich ein autoritäres System zu schaffen“. Inzwischen wird sogar die Ernennung eines neuen unabhängigen Chefs der Wirtschaftsaufsicht blockiert – offenbar, um politische Kontrolle abzusichern.

Auch das Personal an der Front verdeutlicht es.

In der Ukraine kursieren inzwischen fast täglich Videos, in denen Männer von Rekrutierungseinheiten gewaltsam in Fahrzeuge gezwungen werden. Die Zahlen sprechen eine eigene Sprache: Über 230.000 Verfahren wegen Desertation wurden seit 2022 eröffnet. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es über 100.000. Gleichzeitig dienen viele Soldaten ununterbrochen seit über drei Jahren – eine Rotation gibt es nicht. Ein Gesetzentwurf, der ihnen nach 36 Monaten Dienstzeit eine Rückkehr ins Zivilleben ermöglichen sollte, wurde von der Regierung abgelehnt.

Auch wirtschaftlich verliert die Ukraine den Boden unter den Füßen.

Laut Weltbank werden für den Wiederaufbau über 500 Milliarden US-Dollar benötigt. Doch das Interesse der privaten Investoren ist inzwischen auf einem Tiefpunkt angekommen. Der von BlackRock initiierte Wiederaufbaufonds wurde Anfang 2025 mangels internationaler Beteiligung eingestellt. Selbst an symbolträchtigen Konferenzen wie zuletzt in Rom bleibt die finanzielle Zusage der EU mit 2,3 Milliarden Euro deutlich unter den Erwartungen – und unter den realen Notwendigkeiten.

Hinzu kommt: Selenskyjs Amtszeit ist seit Mai 2024 offiziell abgelaufen. Doch es finden keine Wahlen statt – mit Verweis auf den Kriegszustand. Kritiker werfen ihm vor, eine demokratische Legitimation durch Notstandsrhetorik zu ersetzen und politische Gegner ins Exil oder Gefängnis zu treiben. Während Winston Churchill 1940 die Opposition in seine Kriegsregierung holte, so erinnert Oppositionsabgeordneter Goncharenko, tue Selenskyj genau das Gegenteil: Er schließt aus, was ihn kontrollieren könnte.

Im Schatten dieser Entwicklungen berichtet nun selbst der renommierte US-Investigativjournalist Seymour Hersh, Washington plane aktiv den Rückzug von Selenskyj – möglicherweise gegen dessen Willen. Ziel sei, den populären General Waleri Saluschni, mittlerweile ukrainischer Botschafter in London, als Nachfolger zu installieren. Hersh zitiert eine Quelle im Pentagon mit den Worten:

„Selenskyj wird nicht freiwillig gehen – er wird mit den Füßen voran hinausgetragen werden müssen.“

Mag diese Formulierung drastisch klingen – sie zeigt, wie weit sich die Wahrnehmung verändert hat. Die Ukraine ist längst nicht mehr nur Opfer eines brutalen Angriffskriegs – sie wird zunehmend auch als Gefangene eines politischen Systems betrachtet, das sich von demokratischen Grundwerten verabschiedet. Und das ausgerechnet unter einem Präsidenten, der einst für deren Verteidigung angetreten war.

Text: M. Jürgensen
Bildquelle: Shutterstock


Quellen und weiterführende Berichte:

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Related Posts