Olaf Scholz und die Cum-Ex-Affäre werfen zweifelsohne ernsthafte Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf seine Eignung als Kanzler und die Integrität eines politischen Führers. Zur Erinnerung: Die Cum-Ex-Affäre ist ein Finanzskandal, bei dem es um umstrittene Steuerpraktiken geht. Inhaltlich geht es um Aktiendeals, wobei Steuern erstattet wurden, die aber tatsächlich nie gezahlt wurden. Dabei steht die Hamburger Privatbank M.M. Warburg & CO stark im Fokus der aktuellen Ermittlungen. Allein für das Jahr 2009 wären 47 Millionen Euro Rückzahlungen fällig gewesen. Im November 2016 verzichtete das Finanzamt dann plötzlich auf die Forderung. Die Frage, die sich mittlerweile sehr Menschen in Deutschland stellen, ist, ob ein Kanzler, der in einen solchen Skandal verwickelt ist und möglicherweise davon wusste, das Vertrauen des Volkes verdient oder ob ein Rücktritt nicht schon längst überfällig ist.
Was für einen Kanzler wollen wir?
Halten Sie mich ruhig für einen Träumer, aber für mich ist es zweifellos noch wichtig, dass politische Führer die höchsten ethischen Standards einhalten und in der Lage sind, die Interessen der Öffentlichkeit über persönliche oder politische Interessen zu stellen. In diesem Kontext sind die Enthüllungen über Olaf Scholz und die Cum-Ex-Affäre für mich mehr als besorgniserregend. Da sie die Frage aufwerfen, ob er die Wahrheit sagt und ob seine Erklärungen zu Erinnerungslücken auch nur annährend glaubwürdig sind.
Laut Scholz hat er an diverse Treffen mit den Bankern keine Erinnerung.
Laut Experte nicht glaubwürdig.
Den Neurologen Nelles überzeugen die Aussagen von Olaf Scholz nicht. „Aus medizinischer Sicht ist das nicht glaubwürdig“, sagt der Neurologe aus Köln dem Münchner Merkur. Es gebe Zustände, in denen es zu Gedächtnislücken kommt – sogenannte amnestische Episoden. Dann könne man wie bei einem Filmriss mehrere Stunden nicht rekonstruieren. „Aber während dieser Episode sind Menschen auffällig, sie wirken hilflos und verunsichert, mitunter auch desorientiert. In so einem Zustand kann man unmöglich ein vernünftiges Gespräch führen“, sagt Nelles, der auch im Vorstand des Berufsverbands Deutscher Neurologen sitzt.
Wenn wir unserem Kanzler auf medizinischer Basis schon nicht glauben, wie steht es um die menschliche Komponente? Stellen Sie sich doch bitte folgendes Szenario vor: Sie hatten vor 5 Jahren mehrere Treffen mit Bankern, in denen es um mehr als 47 Millionen ging. Es ging also neben diesen großen Beträgen auch um mögliche Arbeitsplatzverluste und die Karrieren Ihrer Bekannten. Sie sprechen mit Ihren Bekannten also über gravierende Probleme, die sie hinterher auch zu Handlungen veranlassen.
Ich frage Sie!
Könnten Sie sich dann heute an keines der Gespräche erinnern?
„Ich gehe stark davon aus, dass man das nicht so schnell vergisst“, sagt zumindest der Neurologe Gereon Nelles. Die Tatsache, dass Scholz behauptet, sich an wichtige Details nicht erinnern zu können, erzeugt für mich nicht nur Zweifel an seiner Transparenz und Offenheit. In einer Zeit, in der das Vertrauen in die Politik bereits auf dem Spiel steht, ist es von entscheidender Bedeutung, dass politische Führer vollständige Rechenschaft ablegen und zur Verantwortung gezogen werden können. So starke Erinnerungslücken bei einem Bundeskanzler? Oder die andere – und für viele die wahrscheinlichere Variante – der bewussten Lügen. Wenn ich mich mit Freunden oder Bekannten über dieses Thema unterhalte, kenne ich aktuell niemanden mehr, der dem Kanzler noch glaubt. Aus Ihrer Sicht sollte niemand Kanzler sein, der a) so schwerwiegende Erinnerungslücken hat, oder b) uns möglicherweise bewusst anlügt.
Wie sehen Sie unseren Kanzler, glauben Sie ihm oder sind Sie auch für einen Rücktritt?
Text: M. Jürgensen
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